Ein Treffen gegen das Vergessen

Eine besondere Geschichtsstunde erlebten Schülerinnen und Schüler des Dortmunder Mallinckrodt-Gymnasiums am Montag im Deutschen Fußballmuseum. Dort begegneten sie im Rahmen einer Gesprächsrunde und im Beisein der Schul- und Jugenddezernentin der Stadt Dortmund, Daniela Schneckenburger, Nachfachfahren der Gebrüder Richard und Gottfried Fuchs.

Gottfried Fuchs feierte 1910 mit dem Karlsruher FV den Gewinn der Deutschen Meisterschaft und zählte zu den besten Fußballern seiner Zeit. Der Stürmer absolvierte sechs Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft, in denen ihm 13 Tore gelangen. Zehn allein in einem Spiel 1912 gegen Russland bei den Olympischen Spielen in Stockholm – ein Rekord für die Ewigkeit. Mit seinem Weggefährten Julius Hirsch zählt er zu den beiden einzigen jüdischen Nationalspielern, die je für Deutschland zum Einsatz gekommen sind.

Richard Fuchs war promovierter Architekt und machte sich in den 1920er-Jahren auch als Komponist einen Namen. Sein der Hochromantik zuzuordnendes Werk in der Tradition von Richard Strauss und Richard Wagner wurde erst vor einigen Jahren wiederentdeckt.
In der NS-Zeit wurden die Brüder als Juden verfolgt und vertrieben. Während Richard die Flucht nach Neuseeland gelang, überlebte Gottfried den Holocaust im kanadischen Exil. Im Nachkriegsdeutschland wurden sie weitgehend vergessen.

Die Oberstufen-Schüler und -Schülerinnen hatten am Samstag bereits dem Gedenkkonzert des Orchesterzentrum NRW beigewohnt, das durch eine gemeinsame Initiative mit dem Deutschen Fußballmuseum sowie mit Unterstützung der Stiftung Lichterfeld und der EVZ-Stiftung Kompositionen von Richard Fuchs in der Museums-Arena zur Welturaufführung brachte. Mitschnitte des Konzerts sind hier verfügbar.

Schirmherr Professor Norbert Lammert formulierte zu Beginn der bewegenden Konzertveranstaltung  in seinem Grußwort einen Gedanken, der die Nachkriegsgenerationen mit Blick auf die unfassbaren Gräueltaten der Nationalsozialisten bis heute umtreibt: „Das darf doch nicht wahr sein. Das kann doch alles gar nicht so gewesen sein.“ „Ist es aber“, so der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages. Und deshalb seien solche Veranstaltungen so wichtig, damit wir nicht vergessen, was Menschen Menschen antun können und wie sich ein ganzer Staat verirren kann. Und deshalb müsse auch die Frage gestellt werden: „Ist denn auf uns heute Verlass? Kann das Grundgesetz sich auf uns verlassen? Denn Demokratie funktioniert nicht durch geschriebene Verfassungen, sondern durch gelebte.“

Was Menschen in der Lage sind, Menschen anzutun, und die Konsequenzen, die daraus resultieren, konnten die Mallinckrodt-Schülerinnen und -Schüler den Ausführungen der Familie Fuchs entnehmen. Richard Fuchs Enkel Johnny Mulheron erzählte vom Stolz seines Großvaters, seinem Heimatland dienen zu dürfen. Im ersten Weltkrieg erhielt er das „Eiserenes Kreuz“. „Richard liebte Deutschland, doch ab 1933 schlug ihm nur noch Hass entgegen.“ Sein musikalisches Werk durfte nicht mehr aufgeführt werden und als Architekt erhielt er Berufsverbot. 1938 wurde er inhaftiert und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. „Über die dortigen Erlebnisse hat er bis zu seinem Tod 1947 geschwiegen. Meine Mutter erzählt, dass er bei seiner Inhaftierung schwarze Haare hatte, vier Wochen später waren sie grau.“
Mit viel Glück, dem Einsatz seines Vermögens und konspirativer Hilfe gelang Richard Fuchs die Flucht nach Neuseeland. Aber auch dort erlebte er Ausgrenzung, weil er als Deutscher Kriegsgefangenen-Status hatte.

Wie Richard kehrte auch sein Bruder Gottfried nie wieder nach Deutschland zurück. „Er konnte nicht verzeihen“, erzählt Gottfrieds Urenkel Nicolas Kaiser. „Für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen, war einst sein stolzester Moment.“ Später wandte er sich dem Tennis zu, doch wurde er nach der Machtergreifung der Nazis von seinem Berliner Club ausgeschlossen. Der Versuch des ehemaligen Bundestrainers Sepp Herberger, sein früheres Idol Gottfried Fuchs Anfang der 1970er-Jahre zur Einweihung des Münchener Olympiastadions einzuladen, scheiterte am Veto der damaligen DFB-Führung.

„Für Richard und Gottfried bedeutete die Flucht nicht nur den Verlust von Heimat, sondern vor allem auch der kulturellen Identität“, sagt Johnny Mulheron. „Unsere Familie lebte bis zu ihrer Verfolgung und Vertreibung über Jahrhunderte in Karlsruhe“. Inzwischen sind die Fuchs-Nachfahren über die ganze Welt verteilt. Für vier von ihnen kam es anlässlich des Gedenkkonzerts und der Begegnung mit den angehenden Abiturienten somit auch zu einer denkwürdigen Familienzusammenführung.

„Ich finde es ausgesprochen bewegend, dass die Familie von Richard und Gottfried Fuchs extra nach Dortmund gekommen ist, um von den Erfahrungen der beiden Brüder zu berichten. Das ist ein wichtiger Beitrag dazu, Erinnerungskultur lebendig zu machen“, sagte Daniela Schneckenburger bei der Verabschiedung. „Zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, der Geschichten von jüdischen Fußballern und zur Erinnerungskultur leistet das Deutsche Fußballmuseum einen wichtigen Beitrag!"
Die Familie Fuchs reist nun weiter zu ihren Wurzeln nach Karlsruhe. Dort spielt die Badische Staatskapelle anlässlich des 75. Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus im Rahmen ihres 2. Sonderkonzerts ebenfalls Werke von Richard Fuchs.

Eine Erkenntnis aus den vielen berührenden Momenten und Begegnungen der vergangenen Tage im Deutschen Fußballmuseum könnte sein: Erinnern ist wichtiger denn je. Bei den Schülerinnen und Schülern des Mallinckrodt-Gymnasiums jedenfalls dürfte dieser Unterrichtstag sicher nicht so schnell in Vergessenheit geraten.

Impressionen vom Gedenkkonzert für Richard und Gottfried Fuchs

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