Gebauer: In 90 Minuten steckt viel drin

Es war als Buchpräsentation gedacht, doch es wurde vor allem ein unterhaltsamer, anregender und kurzweiliger Abend. Sportphilosoph Gunter Gebauer las im Gespräch mit Moderator Peter Großmann nicht nur aus seinem neuen Buch „Das Leben in 90 Minuten. Eine Philosophie des Fußballs“ vor, er offenbarte vor allem seine Gedanken und Erkenntnisse zu dem Kulturphänomen, das in Deutschland niemanden kalt lässt.|Buchpräsentation 19.05.2016

 

#bild#Während für die klassische Philosophie eine Auseinandersetzung mit Fußball indiskutabel ist, hier gehe es in erster Linie um das „Denken über das Denken“, sei die neuere Philosophie aufgeschlossener, so Gebauer: „Sie beschäftigt sich mit praktischem Handeln. Hier stehen Logik, Strategie, das Erreichen von Zielen, Organisation und Kommunikation im Vordergrund.“ Alles Aspekte, die im Fußball eine wesentliche Rolle spielen.

„In den 90 Minuten steckt viel drin“, so Gebauer weiter. „Spannung, Dramatik, Tragödie, Rollenverständnis, Gruppendynamik usw.“ Diese Sportart und der Umgang damit seien so vielschichtig, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht nur gerechtfertigt, sondern zwingend notwendig ist.

Während der 90 Minuten plus Nachspielzeit in der Hall of Fame des Deutschen Fußballmuseums wurden folgende Fragen erörtert: Warum darf man im Fußball die Hände nicht benutzen und muss mit dem schwächeren Körperteil, den Füßen, kommunizieren? Wie kommt es zu dem blinden Verständnis, das das Spiel der Topmannschaften prägt? Warum kann schon der kleinste Fehler ein Spiel drehen? Wie kommt es, dass sich wildfremde Menschen in den Armen liegen und den Sieg ihrer Mannschaft feiern?

#bild#Gunter Gebauer entwickelte auch an diesem Abend mit großer Lust am Spiel eine Philosophie des Fußballs, die uns das Geschehen auf dem Platz und drum herum nicht besser, aber anders verstehen lässt. Beispielsweise ging es sehr ausführlich darauf ein, dass die Geschichte eines Landes und die daraus resultierende Mentalität der Menschen auch das Spiel einer Nationalmannschaft prägen können. „Die Engländer sind von je her große Draufgänger gewesen, die mit hoher Intensität angreifen und agieren wollen. Dabei zeichnet sie auch ein hoher Sinn für Fairness aus.“ All diese Elemente seien auch im Spiel der „Three Lions“ erkennbar.

Die Italiener hingegen würden sich meist „abwartend verhalten. Eher defensiv. Und italienische Männer quatschen nicht viel. Sie beobachten. Und wenn der Gegner auf dem Feld nachlässt, schlagen sie zu“, erläuterte Gebauer, der auch auf die Melancholie der Portugiesen und die „Sehnsucht der Deutschen nach einem schönen Spiel“ einging, die in den erfolgreichen 1970er Jahren entstanden sei.

#bild#Dass jedoch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes nicht immer mit dem sportlichen Abschneiden korrespondiert, hätten die Spanier in den vergangenen Jahren bewiesen. Während die „Roten“ zweimal Europameister und einmal Weltmeister geworden sind und das „Tiki-Taka“ zur prägenden Spielphilosophie dieser Epoche geworden ist, habe das Land seit Jahren mit eklatanten ökonomischen und sozialen Problemen zu kämpfen.

Gunter Gebauer     
Das Leben in 90 Minuten. Eine Philosophie des Fußballs.
Verlag Pantheon
Erscheinungsjahr: 2016

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