Herbert Zimmermann: Er gab dem Wunder eine Stimme
Seine mitreißenden Sätze zum WM-Finale 1954 haben den Mythos rund um das „Wunder von Bern“ maßgeblich mitbegründet. Sie sind den meisten Fußballfans ebenso in Erinnerung wie Gerd Müllers Schuss aus der Drehung 1974, Brehmes Elfer 1990 oder Mario Götzes Siegtreffer im WM-Finale von 2014. Zimmermann hat das Endspiel Deutschland gegen Ungarn in die deutschen Wohnzimmer gebracht. Und die waren in den meisten Haushalten damals noch nicht mit einem Fernseher ausgestattet. Die Menschen im Nachkriegsdeutschland, die das Spiel nicht auf dem Bildschirm in einer Kneipe verfolgen konnten, waren auf das Radio angewiesen. Und damit auf Zimmermanns Stimme.
Finalbilder mit Radiokommentar
Das gesamte Spiel mit dem Original-Fernsehkommentar von Bernhard Ernst ist nicht erhalten, weil eine Video-Aufzeichnung von Live-Sendungen technisch seinerzeit noch nicht möglich war. Theoretisch hätte man die Übertragung des Spiels vom Fernsehmonitor abfilmen und sichern können. Das wäre aber viel zu teuer und mit schlechter Qualität verbunden gewesen. Außerdem hatte eine Filmrolle immer nur eine Kapazität von zehn Minuten. In allen Berichten über das WM-Finale 1954 wurden die Bilder des Spiels also stets mit der fesselnden Radioreportage Zimmermanns unterlegt, weil sie auf Tonbändern aufgezeichnet worden war.
Fünf Tage nach dem Finale kam eine Reportage in die Kinos, die den Turnierverlauf der deutschen Mannschaft dokumentiert. Für viele Fußballbegeisterte war das die erste Gelegenheit, Spielszenen der Weltmeisterschaft im Bewegtbild zu sehen. ARD-Reporter Rudi Michel hatte für den offiziellen FIFA-Film für die Vertonung der Endspielszenen mit Zimmermans Reportage verwendet. Im Deutschen Fußballmuseum machen wir in einem gesonderten Ausstellungsbereich auf dieses Phänomen aufmerksam: TV-Bild und Radio-Ton werden als Einheit inszeniert und wahrgenommen.
Sensations-Weltmeister
Wohl am berühmtesten ist die Szene aus der 84. Minute. Man muss es nur nachlesen und hat die Stimme direkt im Ohr und die Endspielszenen vor Augen: „Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt… Toooor! Toooor! Toooor! Toooor!“ der Sieg gegen die haushoch favorisierten Ungarn lag zum Greifen nahe. Und nur wenige Minuten später war das „Wunder von Bern“ perfekt. Eine absolute Sensation! Denn Deutschland war als krasser Außenseiter ins Endspiel gegangen. In der Vorrunde hatte Herbergers Mannschaft noch 3:8 gegen die Ungarn verloren, die zum damaligen Zeit seit vier Jahren ungeschlagen waren.
Übrigens: Dass Herbert Zimmermann die Partie überhaupt kommentieren durfte, basiert auf einem Zufall. Zwischen den vier deutschen WM-Reportern der ARD – neben Zimmermann auch Kurt Brumme, Gerd Krämer und Rudi Michel – wurde die Kommentierung des ersten Spiels im Turnierverlauf ausgelost. Danach ging es in festgelegter Reihenfolge weiter, so dass beim Endspiel Zimmermanns große Stunde schlug. Er gab schließlich dem Wunder eine Stimme.
Rundfunk-Reporter und Fußballbegeisterung
Heute bereitet uns der enthusiastische Kommentar-Stil Gänsehaut, in den Fünfzigern traf Zimmermann damit auf einige Kritik. Ein Beispiel: Die Begeisterung des Radioreporters für Torwart Toni Turek, den er nach einigen sehenswerten Aktionen als „Teufelskerl“ und „Fußballgott“ titulierte. Die ARD-Sendeleitung zeigte sich „not amused“. In der Nachbearbeitung wurde deshalb aus „Toni, du bist ein Fußballgott“ ein „Toni, du bist Gold wert“.
Ohnehin individuell unterschiedlich ausgeprägt, unterlag das Maß der Emotionalität, mit der ein Reporter die Geschehnisse auf dem Spielfeld kommentiert, seither einem stetigen Wandel. In den folgenden Jahrzehnten ging es zumindest bei den deutschen Berichterstattern sehr viel nüchterner zu. Eine allzu große Parteinahme für die „eigene“ Mannnschaft ist bis heute verpönt, auch wenn bei Spielen der Nationalelf heute wieder eher akzeptiert ist, wenn durch die „deutsche“ Fanbrille geschaut wird.
Fußball und Politik
Fun Fact: Hans-Christian Ströbele, Politiker-Urgestein der Partei Bündnis 90/Die Grünen und bis 2017 Bundestagsabgeordneter, hat die Rechte an der Audio-Tonspur; Herbert Zimmermann ist ein Onkel von ihm. Dass wir den Kommentar in unserer Ausstellung präsentieren dürfen, ist unter anderem also dem Einverständnis von Ströbele zu verdanken.