Die 1. Mannschaft des FC St. Pauli ca. 1919: Selig Cahn ist der 2.v.r., stehend. , Quelle: Archiv FC St. Pauli-Museum

Selig Cahn

03.08.1892 in Hamburg-St. Pauli, Deutschland
1942 in Auschwitz
Ermordet im Holocaust
Spieler
Stürmer

Selig Cahn (rechts) mit seinen älteren Geschwistern Bertha und Siegmund , Quelle: Lidia Sperber-Mankita Selig Cahn kommt am 3. August 1892 in Hamburg als Sohn streng orthodoxer jüdischer Eltern zur Welt. Er hat zwei ältere Geschwister, Bertha (Jg. 1891) und Siegmund (Jg. 1888). Zum Zeitpunkt von Selig Cahns Geburt lebt die Familie in der Marktstraße 8 im Karolinenviertel. 1899 beziehen die Cahns eine Wohnung in der Brüderstraße 3 in der Hamburger Neustadt. Vermutlich besucht Selig Cahn, wie sein Bruder Siegmund, die jüdische Talmud-Tora-Schule. Nach seiner Schulausbildung arbeitet er im Trikotagen-Großhandel seines Vaters mit.

In der Saison 1911/12 spielt Selig Cahn für die 1. Mannschaft des FC Allemannia, Gründungsmitglied des Hamburg Altonaer Fußballverbandes und Vorgängerverein des heutigen DSC Hanseat. Im August 1912 wechselt er zur Fußballabteilung des Hamburg St. Pauli-Turnvereins, die sich ab 1924 FC St. Pauli von 1910 nennt. Im Sommer 1913 erwähnt ihn die Vereinszeitung erstmals als Außenstürmer der 3. Mannschaft.

Im Oktober 1914 listet die Vereinszeitung alle zum 1. Weltkrieg einberufenen Mitglieder des Hamburg St. Pauli Turnvereins auf. Unter ihnen Selig Cahn. Er kämpft mit dem Hanseatischen Regiment 76 an der Westfront – und kehrt bereits einen Monat später verwundet nach Hamburg zurück. Spätestens ab März 1915 ist er dem 1. Ersatz-Bataillon seines Regiments unterstellt und dient in einer Kaserne in Hamburg. Zwischen September 1916 und Januar 1917 spielt Selig Cahn regelmäßig für die 1. Mannschaft. Gemeinsam mit Max Kulik bildet er ein gefährliche Angriffsreihe. Die beiden jüdischen Stürmer stehen während dieser Monate wiederholt mit den späteren FC St. Pauli-Präsidenten Hans Friedrichsen und Wilhelm Koch auf dem Platz. Im Februar und März 1917 spielt Selig Cahn außerdem erfolgreich für die Fußballmannschaft des Hanseatischen Regiments 76. Im Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Bremer Meister SV Werder legt er im Februar 1917 einen Treffer auf und erzielt das Tor zum 3:0. Die Presse sieht in ihm “eine echte Verstärkung”. Im Frühjahr 1917 wird er zum Unteroffizier befördert und erneut an die Westfront versetzt. Mit seinem Verein und seinen Mannschaftskollegen bleibt er über die Feldpostrubrik der Sportzeitung „Turnen, Spiel und Sport“ in Kontakt. Während der Dritten Flandernschlacht bei Ypern wird Selig Cahn im Herbst 1917 zum zweiten Mal verwundet. Dieses Mal kommt er nicht zurück nach Hamburg. Nach Aufenthalten in verschiedenen Feld- und Etappenlazaretten bekommt er ein Bett in einem kleinen Vereinslazarett im oberfränkischen Lichtenfels zugewiesen. In den Wirren der letzten Kriegsjahre kein ungewöhnlicher Vorgang. Spätestens mit Kriegsende kehrt er nach Hamburg und in sein Elternhaus zurück.

1921 spielt Selig Cahn nachweislich noch immer Fußball für Braun-Weiß. Das belegen Erwähnungen in der Hamburger Sportpresse. Sehr wahrscheinlich ist er auch dabei, als sich die Fußballabteilung 1924 vom Hamburg St. Pauli-Turnverein abspaltet und offiziell zum FC St. Pauli wird. In einer Jubiläumsschrift von 1930 findet sich der Name Cahn in einer Auflistung von Vereinsmitgliedern. 1929 gründet ein gewisser „Ali“ Cahn außerdem die erste, inoffizielle Schachabteilung des FC St. Pauli. Ob es sich in beiden Fällen um Selig Cahn handelt, lässt nicht mit abschließender Sicherheit feststellen. Fest steht, dass Selig Cahn Feldpostbriefe an seine Mitspieler zwischen 1914 und 1918 regelmäßig mit A. Cahn unterschreibt – Hinweis auf einen Spitznamen mit dem Anfangsbuchstaben "A".

Selig Cahns Kultussteuerkarte bei der jüdischen Gemeinde belegt, dass sein Einkommen ab Mitte der 1920er-Jahre erheblich schwankt. In den Jahren 1924 und 1926 zahlt er überhaupt keine Gemeindesteuern. Am 1. August 1928 heiratet Selig Cahn in Königsberg (heute Kaliningrad) die 7 Jahre jüngere Jeannette Gütkin aus Memel (heute Klaipėda, Litauen). Am 29. Mai 1929 bringt sie im israelitischen Krankenhaus auf St. Pauli eine Tochter zur Welt: Bertha. Im Februar 1932 folgt Sohn Meno.

Die allermeisten jüdischen Sportler*innen in Hamburg werden bereits kurz nach der Machtübergabe an die NSDAP gezwungen, ihre Sportvereine zu verlassen. Falls Selig Cahn 1933 noch Mitglied im FC St. Pauli ist, wird auch er mit hoher Wahrscheinlichkeit spätestens 1934 ausgeschlossen. Eventuell wechselt er daraufhin zur jüdischen Sportgruppe Schild. Deren Sportplatz befindet sich ab Juli 1934 an der Kollaustraße – genau dort, wo heute der FC St. Pauli trainiert. Im Dezember 1934 findet sich der Name Cahn in einer Spielaufstellung der „Altherren“-Fußballmannschaft von Schild.

Während der Novemberpogrome 1938 wird Selig Cahn verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Nach seiner Entlassung am 17. Dezember 1938 kehrt er nach Hamburg zurück. Ein Auswanderungsversuch ist nicht dokumentiert. Am 11. Juli 1942 wird die gesamte Familie über Bielefeld und Berlin nach Auschwitz deportiert und sehr wahrscheinlich direkt nach der Ankunft ermordet. Die Kinder Bertha und Meno sind zu diesem Zeitpunkt 13 und 10 Jahre alt. Es ist der erste Transport von Hamburg nach Auschwitz. Die Deportierten, unter denen sich auch Selig Cahns Bruder Siegmund und dessen Frau Carla befinden, wissen nicht, wohin sie gebracht werden. Der letzte Besitz der Familie Cahn, eine silberne Damenuhr, wird am 18. August 1942 öffentlich versteigert.

Autor: Celina Albertz, Thomas Glöy, Christopher Radke (FC St. Pauli-Museum)

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