Jenö Konrád

Gestorben am 14.07.1978 in New York, USA
Trainer

„Der 1. Fußballklub Nürnberg geht am Juden zugrunde“, titelte das nationalsozialistische Hetzblatt ‚Der Stürmer‘ Anfang August 1932 in Nürnberg und führte weiter aus: „Ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar. Er ist nicht dafür gebaut mit seiner abnormen und missratenen Gestalt … Klub! Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem“.

Nach zwei knappen Niederlagen gegen den FC Bayern München – ein 0:1 auf unbespielbarem Boden und ein 0:2 im Halbfinale um die Deutsche Fußballmeisterschaft – schritten die Redakteure des antisemitischen Massenblatts ‚Stürmer‘ zur Tat und verfassten einen Hetzartikel gegen den jüdischen Trainer des FCN, Jenö Konrád.

Aufgrund der explosiven politischen Lage in Deutschland, gekennzeichnet von marodierenden Schlägertrupps der SA, politisch movierten Morden und einer zunehmend erstarkenden NSDAP, erkannte Konrád die Zeichen der Zeit. Noch in der Nacht vom 5. auf den 6. August 1932 verließ er mit seiner Frau Grete und seiner dreijährigen Tochter Evelyn fluchtartig Nürnberg. Die Vereinsspitze verabschiedete die Familie mit Rosen am Bahnhof und bedauerte den Weggang des erfolgreichen Trainers. Der ‚Stürmer‘ triumphierte in der nächsten Ausgabe: „Jud Konrad ist abgedampft.“ Und Konrád hinterließ der Vereinschronik eine Autogrammkarte mit der Aufschrift: „Der Club war der erste. Und muss der erste werden!“

Jenö Konrád konnte zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Spieler und Trainer zurückblicken. Mit 14 Jahren war er dem Budapester AK beigetreten und drei Jahre später zum MTK Budapest, dem damaligen Dreamteam des europäischen Fußballs, gewechselt. Mit 17 gab er sein Debüt als Läufer in der ersten Mannschaft. Zweimal, 1914 und 1919, errang er mit seinem Verein die ungarische Meisterschaft und 1915 spielte er mit 21 Jahren für die ungarische Nationalmannschaft beim 2:1-Sieg gegen Österreich.

Im Zweiten Weltkrieg geriet Konrád für 22 Monate in russische Gefangenschaft. 1919 wechselte er mit seinem jüngeren Bruder Kálmán nach Österreich zum Verein Wiener Amateur SV (ab 1926 Austria Wien) und wurde 1924 österreichischer Meister und zweimal Pokalsieger (1921 und 1924). Konrád glänzte dabei als Mittelfeldstratege mit Drang zum Tor. Nach seinem Wechsel zu den Profis von Vienna Wien zog er sich 1925 eine schwere Meniskusverletzung zu und musste seine Karriere als Fußballer beenden.

Nun übernahm er das Training bei der Austria und führte das Team 1926 zur österreichischen Meisterschaft. Es folgten weitere Trainerstationen in Österreich und in Rumänien, und Konrád verfasste mehrere Fußballlehrbücher.

Mitte 1930 suchte der 1. FCN, mit fünf Meisterschaften der bis dahin erfolgreichste deutsche Fußballverein, einen Trainer. Der sollte die in die Jahre gekommene Meisterelf verjüngen und den Club zu neuen Erfolgen führen. Die Wahl fiel auf Jenö Konrád und der übernahm im August 1930 das Traineramt. Mit Erfolg. Mit jungen Talenten, die später Nationalspieler werden sollten, wie Willy Billmann, Georg Friedel und Richard Oehm, sowie mit dem Stuhlfauth-Nachfolger Georg Köhl im Tor war der 1. FCN auf dem besten Wege zu alter Stärke.

Nach dem antisemitischen Angriff im ‚Stürmer‘ ging Konrád nach Rumänien und führte dort Ripensia Timişoara zum Meistertitel. In den folgenden Jahren unternahm er eine wahre Trainerodyssee quer durch Europa. Er war immer auf der Flucht vor dem wachsenden antisemitischen Terror in Europa, bis ihm und seiner Familie im Mai 1940 von Lissabon aus, wo er Sporting trainierte, die Flucht auf einem kleinen Kork-Frachtschiff in die USA gelang.

In New York arbeitete Konrád zunächst in einer Nähmaschinenfabrik und eröffnete dann zwei Gardinengeschäfte. Mit dem amerikanischen Soccer konnte er sich nie anfreunden. Als der 1. FCN 1953 und 1955 jeweils für drei Wochen durch die USA tourte, verfolgte er die Spiele seines alten Vereins gegen den FC Liverpool und den FC Sunderland in New York auf der Tribüne und besuchte die Mannschaft in ihrem Hotel. Er schrieb an den DFB-Präsidenten Peco Bauwens: „Ich hatte das Vergnügen, zwei Jahre bei dem Verein mitzuarbeiten. Der Verein ist … ein wunderbar geführter Club, der in jeder Beziehung dem Sport Deutschlands Ehre bringt.“. Jenö Konrád verstarb am 15. Juli 1978 in New York.

Im Zuge eines Buchprojekts über die Geschichte des 1. FCN spürte der Autor Jenö Konráds Tochter Evelyn in New York auf. Sie unterstützte die Recherchen mit persönlichen Informationen und privaten Fotos. Die Veröffentlichungen über den jüdischen Trainer veranlassten die Ultras Nürnberg knapp 35 Jahre nach seinem Tod, Jenö Konrád am 17. November 2012 mit einer überwältigenden Choreographie über die gesamte Nordkurve vor einem Spiel gegen den FC Bayern (1:1) zu gedenken.

Der 1. FCN lud am 22. Januar 2013 Konráds Tochter Evelyn nach Nürnberg ein. Auf einer Veranstaltung verlieh der Verein Jenö Konrád posthum die Ehrenmitgliedschaft und rehabilitierte die 1933 aus dem Verein geworfenen jüdischen Mitglieder symbolisch. Für diesen Schritt und die Fan-Choreografie erhielten der Club und die Ultras Nürnberg 2013 vom DFB den Julius-Hirsch-Preis (2. Platz). Das Preisgeld investierte der 1. FCN in eine Broschüre über Jenö Konrád, die an die Mitwirkenden des alljährlich stattfindenden Internationalen U-14-Cups verteilt wurde. Der Jugend-Wettbewerb wurde in „Jenö-Konrád U14-Cup“ benannt.

Die Geschichte von Jenö Konrád veranlasste den Münchner Schriftsteller und Dramatiker Albert Ostermaier ein Theaterstück zu schreiben. Die Uraufführung von „Linke Läufer (Erster sein)“ fand im Juni 2016 im Staatstheater Nürnberg statt. Ein Jahr später initiierte der 1. FCN gemeinsam mit dem TSV Maccabi Nürnberg das Schulprojekt „Jenö Konrád-Cup 2.0 – Fußball trifft auf Geschichte“. Seitdem dient die Biografie von Jenö Konrád als Initialzündung für schulische Projektarbeiten zu Antisemitismus, Rassismus sowie dem heutigen Judentum.

Autor: Bernd Siegler

Literaturverweise
Bausenwein, Christoph/Kaiser, Harald/Siegler, Bernd: Die Legende vom Club – Die Geschichte des 1. FC Nürnberg, Göttingen, 2012
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