Erwin Drucker und sein zweieinhalb Jahre älterer Bruder Siegfried waren die ersten gebürtigen Mainzer in einer auch in Köln und Koblenz vertretenen Winzerfamilie von der Mosel; ihr Vater hatte sich als Weinhändler in Mainz niedergelassen. Zwischenzeitlich muss sich der jüngere Drucker-Bruder in Württemberg aufgehalten haben: 1924, wenige Wochen vor seinem 35. Geburtstag, heiratete er in Stuttgart die 20-jährige gebürtige Erfurterin Ilse Hirschfeld; die gemeinsamen Kinder Heinz Stefan (* 1927) und Brigitte (1933) kamen bereits wieder in Mainz zur Welt.
Während sein Bruder ein anerkannter Rechtsanwalt wurde - noch im April 1933 erbat der Mainzer Landgerichtspräsident beim Justizministerium in Darmstadt die Erlaubnis für Siegfried Drucker und drei weitere jüdische Anwälte, weiterhin vor Gericht auftreten zu dürfen -, führte Erwin Drucker das Bekleidungsgeschäft: "Herren und Knabenkonfektion Drucker" in der Schöfferstraße 7, nur wenige Meter entfernt vom Mainzer Dom und vom renommierten Warenhaus Lahnstein, wo auch Siegfried seine Wohnung hatte. Erwin muss ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sein; mit seiner Familie wohnte er in bester Lage, ein paar hundert Meter weiter am Fischtorplatz, dem Filetstück der durch die Strombegradigung ermöglichten neuen Rheinuferbebauung.
Wann genau Erwin Drucker dem 1. Mainzer FSV 05 beitrat und dort eine Funktion übernahm, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Erstmals belegt ist er 1927 als Mitglied des Finanz- und Wirtschaftsausschusses; bereits nach zweijähriger Tätigkeit verlieh ihm die Generalversammlung "in Anerkennung seiner erfolgreichen Tätigkeit" die silberne Ehrennadel. 1931 wurde Drucker zum 3. Vorsitzenden und Schatzmeister gewählt. Einer der Beisitzer: Carl Lahnstein aus dem bereits erwähnten Warenhaus. Nach der Hessenmeisterschaft 1931/32 wurde Druckers Portrait noch direkt neben dem Konterfei des 1. Vorsitzenden Jean Laufer in der Galerie des Vorstands und der Meistermannschaft an die Tapete des Vereinsheim geheftet, noch im gleichen Jahr - demnach vor der Machtübernahme durch die NSDAP - schied er aus dem Vorstand aus.
Vieles spricht dafür, dass beide Drucker-Brüder vom Novemberpogrom 1938 direkt betroffen waren. Aus dem Jahre 1952 existiert eine Aufstellung der Schäden, die in Siegfrieds Kanzlei in der Kaiserstraße angerichtet wurden; der damalige Bürovorsteher bezeugt u.a. den Verlust zweier Ölgemälde (RM 400.-), einer holzgeschnitzten Madonna (RM 500.-), einer Schreibmaschine (RM 350.-), ca. 800 RM Bargeld, und ergänzt: "Es ist überflüssig zu betonen, dass das Büro restlos demoliert war, Akten durcheinander geworfen und Fachliteratur beschädigt war." Wahrscheinlich zählten die Brüder zu den ca. 30.000 sogenannten "Aktionsjuden", die in den folgenden Tagen inhaftiert, mehrheitlich in Konzentrationslager verschleppt, nach einiger Zeit wieder freigelassen wurden.
Die Druckers sollen ein Visum für Kuba gehabt haben, das offenbar ungültig wurde. Über Frankreich reisten beide auf unterschiedlichen Schiffen in die USA aus. Erwin kam nach Zwischenstationen in Paris, Angers und Saint-Nazaire am 27. Mai 1940 mit der SS Champlain in New York an - an Bord mag er dem Schriftsteller Vladimir Nabokov begegnet sein. Es war die letzte Überfahrt des französischen Linienschiffs: Auf der Rückfahrt lief die Champlain vor der französischen Küste zunächst auf eine Seemine und wurde vier Tage später durch einen Torpedo versenkt. Ermöglicht hatte die Ausreise Druckers Cousin Sol Kaufmann in Charlottesville, Virginia, wo sich auch Erwin Drucker niederließ; sein Bruder, der sich nun Fred Drucker nannte, blieb in New York, wo er Schulfilme herstellte und vertrieb und 1954 eine Wiedergutmachung in Höhe von rund 11.000 DM erstritt. Fred Drucker verstarb 1956 an seinem 69. Geburtstag.
1943 stellte Erwin Drucker, dem bereits am 5. Dezember 1940 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, den Antrag auf Einbürgerung in die USA; im Formular beschreibt er sich als 5'3" (1,60 Meter) groß, blond und blauäugig. Weitere Dokumente über die folgenden zehn Jahre liegen nicht vor; verstorben ist der ehemalige 3. Vorsitzende von Mainz 05 am 4. November 1953 (bzw. laut einer abweichenden Quelle am gleichen Datum 1952).
Von seiner in Deutschland verbliebenen Familie überlebte niemand die Schoa. Erwins Ehefrau Ilse und die beiden Kinder waren nach der Trennung vom Familienvater nach Stuttgart umgezogen. Ilse und ihre achtjährige Tochter Brigitte starben am 26. März 1942 im Lager Gut Jungfernhof bei Riga. Der Sohn Heinz Stefan war ebenfalls dort, wurde im August 1944 weiter ins Lager Stutthof bei Danzig deportiert und später für tot erklärt. Siegfrieds und Erwins Schwester Elsa (* 1887) wurde Anfang 1943 in Auschwitz ermordet.