Quelle: Archiv Familie Hirsch

Julius Hirsch

Geboren am 07.04.1892 in Achern, Deutschland
Gestorben am 07.05.1945 in Auschwitz
Ermordet im Holocaust
Spieler
Erfolge:
  • Deutscher Meister 1910
  • Deutscher Meister 1914

Julius Hirsch (1.v.l.) mit der deutschen Nationalmannschaft 1912, Quelle: Archiv Familie HirschAm 10. April 1933 musste Julius Hirsch in der Zeitung lesen, dass auch sein Verein, der Karlsruher FV, der Erklärung der 14 renommierten süd- und südwestdeutschen Vereinen am 9. April 1933 zugestimmt hatte und bereit war, sich der „nationalen Regierung (...) freudig und entschieden zur Verfügung“ zu stellen, „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“. Noch am selben Tag erklärte er in einem Schreiben an den KFV seinen Austritt: „Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Ich gehöre dem KFV seit dem Jahre 1902 an und habe demselben treu und ehrlich meine schwache Kraft zur Verfügung gestellt. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV meinen Austritt anzeigen“. Mit diesem Austritt kam Julius Hirsch seinem Ausschluss aus dem Verein zuvor und ersparte sich somit die Demütigung eines Rauswurfes!

Seit seiner Kindheit war Julius Hirsch ein begeisterter Fußballer. Nach seinen eigenen Angaben kam er bereits mit sechs Jahren mit dem Fußballspielen in Berührung, zu einem Zeitpunkt, als das Spiel noch in Deutschland als „Fußlümmelei“ und „englischer Aftersport“ verhöhnt wurde. Mit zehn Jahren trat er dem KFV bei. Er entwickelte sich schnell zu einem Vollblutstürmer und wurde bereits mit 17 Jahren von dem englischen Trainer des KFV, William Townley, in die erste Herrenmannschaft berufen. Julius Hirsch, den seine Kameraden nur ‚Juller‘ nannten, wurde bekannt durch seine gebückte Laufhaltung und war gefürchtet für seine beidfüßige Schussstärke.

Mit Gottfried Fuchs und Fritz Förderer bildete er das berühmte Innensturm-Trio. Im Jahre 1910 errang Julius Hirsch mit seinem KFV seine erste Deutsche Meisterschaft und ein Jahr später, am 17. Dezember 1911, gab er in München im Spiel gegen Ungarn sein Debüt in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er war damit nach Gottfried Fuchs der zweite jüdische deutsche Fußballnationalspieler. Insgesamt trug Julius Hirsch in den Jahren zwischen 1911 und 1913 sieben Mal das deutsche Nationalmannschaftstrikot. Aus beruflichen Gründen wechselte er im Jahre 1913 nach Fürth und gewann mit der Spielvereinigung Fürth am 31. Mai 1914 nach viermaliger Verlängerung mit 3:2 gegen den VfB Leipzig seine zweite Deutsche Meisterschaft. Er war auf dem Höhepunkt seiner fußballerischen Karriere, als der Erste Weltkrieg ausbrach.

Mitgliedskarte im Karlsruher FV, Quelle: Archiv Familie HirschFür Julius Hirsch und seine drei Brüder war es selbstverständlich, für ihr Vaterland in den Krieg zu ziehen. Wie Millionen Deutsche folgten sie dem Ruf ‚ihres‘ Kaisers und wie viele andere deutsche Familien hatte auch die Familie Hirsch persönliche Opfer zu beklagen. Julius Hirsch wurde im Krieg mehrfach für besondere Tapferkeit ausgezeichnet. 1918 setzte er seine Karriere zunächst bei der SpVgg Fürth fort, kehrte dann aber in seine Heimatstadt Karlsruhe zurück und spielte noch bis 1925 beim KFV. Nach seinem sportlichen Abschied blieb er dem KFV als Jugendtrainer und Mitglied des Spielausschusses treu. Umso tiefer traf ihn die Nachricht seines bevorstehenden Ausschlusses aus dem KFV am 10. April 1933.

Für die jüdischen Sportler gab es in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten: Entweder sagten sie ihrem geliebten Fußballsport für immer Adieu oder sie schlossen sich einem der zahlreichen, neu entstehenden jüdischen Vereine an. So schnürte Julius Hirsch mit 42 Jahren noch einmal die Fußballschuhe für den Turnclub 03 Karlsruhe und gewann mit seinem neuen Verein die Badische Fußballmeisterschaft der Schild-Vereine des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten im Jahre 1935. Aber er blieb auch weiterhin seinem alten Verein, dem KFV, verbunden. Angeblich ließ ihn ein treuer Fan ins Stadion zu den Heimspielen des KFV. Den Judenstern, den er seit 1941 tragen musste, verbarg Julius Hirsch unter seiner Aktentasche.

Beruflich konnte er sich und seine Familie mit diversen Hilfsarbeiten einige Jahre notdürftig versorgen. In dieser jedoch für ihn ausweglosen Situation unternahm er auf der Rückfahrt von Paris, wo er seine Schwester Rosa besucht und sich nach Arbeit umgesehen hatte, einen Selbstmordversuch. Julius Hirsch überlebte und konnte im Februar 1939 wieder zu seiner Familie zurückkehren. Weil er in einer sogen. ‚Mischehe’ lebte, blieb er zunächst von Deportationen verschont. Um seine Familie zu schützen, ließ er sich am 2. Dezember 1942 von seiner Frau Ella scheiden. Trotz der Scheidung und räumlichen Trennung hielt er aber weiterhin den Kontakt zu seiner Frau und seinen beiden Kindern.

Pass von Julius Hirsch mit eingedrucktem "J" für Jude, Quelle: Archiv Familie HirschAm 1. März 1943 wurde Julius Hirsch mit elf weiteren badischen Juden von Karlsruhe nach Auschwitz deportiert. Es war der letzte Transport Karlsruher Juden nach Auschwitz. Das letzte Lebenszeichen war eine Karte zum 16. Geburtstag seiner Tochter Esther vom 3. März 1943. Im Jahre 1950 erklärte das Amtsgericht Karlsruhe Julius Hirsch für tot.

In den folgenden Jahrzehnten blieb die Erinnerung an den einstigen Nationalspieler im deutschen Fußball völlig vergessen. Erst Anfang dieses Jahrtausends setzte eine kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des DFB ein. Seit 2005 vergibt der Verband in jedem Jahr den Julius-Hirsch-Preis, der Initiativen zur Förderung von Toleranz und Demokratie im Fußball auszeichnet. Heute befinden sich zahlreiche Exponate zum Leben und Wirken von Julius Hirsch in der Dauerausstellung des Deutschen Fußballmuseums. Sie wurden von der Familie Hirsch, die bis heute in Karlsruhe lebt, dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.

Autor: Lorenz Peiffer / Martin Wörner / Henry Wahlig

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