Helmut Grünewald, ca. 2000, Quelle: AG Julius Hesse Bielefeld

Helmut Grünewald

Geboren am 04.01.1923
Gestorben am 24.04.2005 in Düsseldorf
Mitglied

Helmut Grünewald, geboren am 4.1.1923 in Bielefeld, war wie sein Onkel Fritz beim DSC Arminia aktiv. Er gehörte der Anfang April 1934 gegründeten Ringergruppe der Schwerathletikabteilung an. Am 3. April 1934 fand eine erste Ringer-Kampfveranstaltung mit Schüler- und Jugendwettkämpfen statt. Vereinsführer Karl Demberg begrüßte die Sportler und Zuschauer, hielt eine Ansprache und stellte seinen Fachbearbeiter Schwerathletik Binarch vor. Ob Grünewald daran teilgenommen hat, lässt sich nicht belegen. Sein Ausschluss aus dem DSC Arminia erfolgte erst 1935.

Helmut Grünewald  war auch ein begeisterter „Anhänger“ der Fußballmannschaft. Seit 1938 lebte er bis zu seiner Flucht 1939 in Berlin. Ein weiterer Neffe Fritz Grünewalds, der 1923 in Bielefeld geborene Jonathan Kinarty (ehemals Herbert Kokerbeck) , wohnte nach der  Trennung seiner Eltern seit Anfang der dreißiger Jahre bei seinem Onkel Fritz Grünewald in der Gütersloher Str. 72 und  bestätigte in einem Schreiben vom 5.12.03 die Angaben seines Vetters Helmut Grünewald. Kinarty gelang 1939 die Flucht nach Palästina. Er war ebenfalls Anhänger des DSC Arminia. Ob er ebenfalls in der Ringergruppe des Vereins oder beim Fußball aktiv war, lässt sich nicht nachweisen.

Helmut Grünewald und Jonathan Kinarty erinnerten „sich an viele Abende, an denen sich in seinem Haus (von Fritz Grünewald, Gütersloher Str. 72) Anhänger und Vorstandsmitglieder (des DSC Arminia) trafen, um mit ihm als leidenschaftlichem Fußballer und begeistertem Arminen stundenlang zu diskutieren. Eines Tages jedoch brachen diese Besuche ab.“ (Schlumbaum S. 360)

Allerdings gab es auch „Arminen“, die heimlich ihre Solidarität mit Grünewald ausdrückten. Nach einer Auseinandersetzung mit SA-Männern konnte er für eine Weile bei diesen „untertauchen“. (Schlumbohm…) Ob Grünewald zu den jüdischen Fußballanhängern gehörte, die sich verbotenerweise dennoch gelegentlich ein Spiel der Arminia angesehen haben, „… dann aber versteckt, den Hut weit ins Gesicht gezogen und schnell wieder fort“, wie es ein Zeitzeuge ausdrückte, kann wohl nicht mehr geklärt werden. (Ein Verein will nach oben, S. 54).

Im Wesentlichen aus Helmut Grünewalds Perspektive stammen die folgenden Erinnerungen an Fritz Grünewald und dessen Familie sowie an seine eigene Familie.  Sie beziehen sich auf die Zeit bis zur eigenen Flucht 1939. Helmut Grünewald erinnerte sich sehr detailliert an seine Kindheit und Jugend in Bielefeld.

„10 Jahre war ich alt, als Hitler die Macht in Deutschland übernahm. In der Schule von Lehrern und Mitschülern beschimpft, geschlagen und bespuckt, habe ich 1937 die Bückhardtschule im Osten Bielefelds verlassen.“ (S. 66, Decker)

Nachdem bereits sein Onkel Fritz Grünewald bei den Fußballern ausgeschlossen worden war,
musste Helmut Grünewald ebenfalls den geliebten Verein DSC Arminia verlassen.  
„Die Trauer und der Ärger über das Ende meiner sportlichen Aktivitäten wurde wettgemacht von einem freudigen Ereignis, nämlich meiner Bar-mitzwa. Gleichzusetzen in etwa mit der christlichen Konfirmation bedeutete die Einsegnung die Aufnahme als Vollmitglied in die jüdische Religionsgemeinschaft…“ Anlässlich der Bar-mitzwa am 11.1.1936 erhielt Helmut Grünewald viele Geschenke. „Von meinem Onkel Fritz, der mein Patenonkel war, erhielt ich eine silberne Taschenuhr.“ (S. 148)

Die Aussagen Helmut Grünewalds lassen die Interpretation zu, dass er vor seiner Bar-mitzwa  ausgeschlossen wurde, also 1935 und nicht, wie er an anderer Stelle vielleicht irrtümlich formuliert hatte, 1937. Seine Bar-mitzwa fand traditionsgemäß unmittelbar nach Vollendung seines 13. Lebensjahres (4.1.1936) statt. Er wird also 1935 im Alter von 12 Jahren aus der Ringergruppe des DSC Arminia - wie er es bezeichnete, „als Jude rausgeschmissen“ worden sein. Warum Helmut Grünewald erst 1935 den Verein verlassen musste, bleibt offen.

Nach der Entlassung aus der Schule bot sich eine Ausbildung zum Schlosser an. „Mit Hilfe eines in Herford lebenden Cousins Bernhard Heinemann bekam ich eine Volontärstelle im Herforder Eisenwerk Flesch. Der abgeschlossene Arbeitsvertrag sah eine 1 ½ jährige Volontärzeit vor. Entgelt für diese Tätigkeit gab es nicht. Die meisten Arbeitskollegen … beschimpften mich als Juden oder lehnten jede Form des menschlichen Kontakts mit mir ab. Lediglich der Meister – durch dessen Vermittlung ich den Job bekommen hatte – und ein oder zwei ältere Mitarbeiter sprachen mit mir, sie zeigten sich freundlich…“

Wahrscheinlich im September 1937 wurde Helmut Grünewald von dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Bielefeld, Dr. Cosmann, der Vorschlag unterbreitet, die im selben Jahr gegründete „Jüdisch-Technische Lehranstalt ORT“ in Berlin zu besuchen, um dort den Beruf des Werkzeugmachers zu erlernen. (Decker, S. 67)

„Nur wenige Tage vor Kriegsausbruch wurde die Schule mit 100 Schülern nach England verlegt. Ich war dabei. Als einziges Familienmitglied gelang mir noch rechtzeitig die Flucht ins rettende Ausland. Am Leben blieben außerdem meine Cousine in Dänemark und ihr Bruder in Palästina. Was nun folgte, waren Flüchtlingslager, Internierung und anschließend die unterbezahlte Arbeit in vielen Branchen und Betrieben. Erst 1942 erhielt ich einen gut bezahlten Job als Werkzeugmacher in Coventry.“ (S. 67 Decker)

Die Zeit nach 1945

Die erste Begegnung mit seiner Geburtsstadt Bielefeld erfolgte als Soldat in der britischen Armee, zu der er sich 1943 freiwillig gemeldet hatte. Von „Heimatstadt“ wollte er nicht mehr sprechen. „Der Begriff Heimat ist für mich ein Fremdwort… Zu dieser Zeit hatte ich bereits eine Konfrontation mit Bergen-Belsen hinter mir und jeden Glauben an ein ‚Höheres Wesen’ verloren…Schon kurze Zeit später versetzte man mich nach Bielefeld. In einer Kaserne an der Detmolder Straße war ich als Dolmetscher tätig. Trostlos und voller Unbehagen gestaltete sich das Wiedersehen mit der Stadt meiner Geburt. Zu jener Zeit war für mich jeder Deutsche ein früherer Nazi… Doch keiner wollte ein Nazi gewesen sein.“

Nach seiner Entlassung aus dem britischen Militärdienst 1947 entschied sich Helmut Grünewald, England zu verlassen und nach Bielefeld zurückzukehren. Vorübergehend lebte er in Israel.
„Bei allem Bösen, was ich erlebt hatte, fühlte ich mich immer noch der deutschen Sprache und Kultur eng verbunden. Was die Menschen anging, vermied ich weitgehend den Umgang mit Leuten meiner Generation und hatte nur junge Menschen zu Freunden.“ (S. 68)

Helmut Grünewald wurde in der Textilbranche tätig, eröffnete schließlich ein Textilgeschäft im Stadtzentrum, das aber 1958 aufgegeben werden musste. Ein Studium und die Tätigkeit als Unternehmensberater folgten. Im Alter von 76 Jahren kehrte er nach England zurück und lebte bei einem Sohn in Bristol, seit 2003 in einem Jüdischen Altersheim in Düsseldorf.

Bis an sein Lebensende blieb Helmut Grünewald ein Anhänger des DSC Arminia Bielefeld.

„Lassen Sie mich, lieber Leser dieser Zeilen, zum Schluss noch auf das ‚schizophrene Verhältnis’, das ich zu meiner Geburtsstadt Bielefeld habe, eingehen. Als leidenschaftlicher Fußballanhänger verfolge ich jeden Samstag am TV die Spiele des DSC Arminia Bielefeld und freue mich über alle seine Siege.“

Helmut Grünewald verstarb am 24. April 2005 in Düsseldorf.

Auf Initiative der „Friedensgruppe der Altstädter Nicolaigemeinde“ im Rahmen der Arbeit für die Initiative zur Errichtung des Mahnmals „Jede Ermordete, jeder Ermordete hat einen Namen“ wurde der Vorstand des DSC Arminia im Hinblick auf den Leidensweg des Fritz Grünewald angeschrieben.
Der damalige Präsident Hans-Hermann Schwick, der Vorstand und der Ehrenrat reagierten umgehend. Die Ehrennadel wurde posthum am 8. Dezember 2003 während der Jahreshauptversammlung des Vereins an Fritz Grünewald zurück verliehen. Beide Neffen, Helmut Grünewald und Jonathan Kinarty, bedankten sich für diesen symbolischen Akt, konnten aber zu der Feierlichkeit nicht erscheinen.

Fritz Grünewald wird in der Geschichte des DSC Arminia erstmals 2005 im Buch „100 Jahre Leidenschaft“ erwähnt.
An Fritz Grünewald, seine Frau Jenni und den Sohn Rolf erinnern seit dem 6. Mai 2015 an der Arthur-Ladebeck-Str. 60, ehemals Gütersloher Str. 72, Geschäftsbetrieb und Wohnung der Familie, drei Stolpersteine, die im Beisein des Präsidenten Arminia Bielefelds, Hans-Jürgen Laufer, feierlich verlegt wurden.
Die Bielefelder Fan AG, ein Zusammenschluss der Bielefelder Faninstitutionen (Arminia Supporters Club, Fanclub Dachverband, DSC Fanbetreuung und Fan-Projekt Bielefeld) übernahmen die Patenschaft für die Stolpersteine.

Zur Erinnerung an Helmut Grünewalds Geschwister Leonhard und Margot, an seine Mutter Selma und an seine Tante Rosa Heymann wurden im Gehwegpflaster vor dem ehemaligen Wohnhaus Mühlenstraße 7 ebenfalls Stolpersteine verlegt.

Ferner stehen die Namen auf dem Mahnmal für die deportierten Juden vor dem Hauptbahnhof Bielefeld. Jährlich werden an den Tagen der ehemaligen Deportationen aus Bielefeld die Namen der Holocaustopfer verlesen. Die Gedenktafel auf dem 2021 eingeweihten Julius-Hesse-Platz hinter der Westtribüne der SchücoArena weist auch auf das Arminia-Mitglied Fritz Grünewald hin.

Wesentliche Quellen:

-    Decker (Hg.), Heimweh nach Bielefeld ?
-    Minninger Aus einer Hochburg des Reformjudentums…., Bielefeld 2006
-    Schlumbohm, Von Ehrennadeln und Vereinsrettern, Stuttgart 2013
-    Archiv DSC Arminia Bielefeld
-    Minninger, Meynert, Schäffger, Antisemitisch Verfolgte…, Bielefeld 1985
-    Schäffer, Meynert, Juden in Bielefeld…, Bielefeld 1983
-    Stadtarchiv Bielefeld: Sammlung Judaica…, Div. Zeitungsartikel WZ Bielefeld sowie WB Bielefeld
-    100 Jahre Leidenschaft, Bielefeld 2005

Autor: Friedhelm Schäffer

Diese Seite teilen
URL