Max Girgulski im Trikot von Eintracht Frankfurt, Quelle: Matthias Thoma, Eintracht Frankfurt Museum

Max Girgulski

Geboren am 12.11.1913 in Frankfurt, Deutschland
Gestorben am 02.03.1983 in Buenos Aires
Spieler

Max Girgulski (sitzend 1.v.l.) mit BK Frankfurt , Quelle: Matthias Thoma, Eintracht Frankfurt MuseumMax Girgulskis Eltern Salomon und Maria, geborene Hagel führen ein Zigarettengeschäft. Die Familie wohnt in der Albusstraße 24 in der Nähe der Konstablerwache. Salomon ist jüdischen Glaubens, seine Frau Maria konvertiert. Max hat vier Geschwister: Berta, Elias, Olga und Joseph. Olga und Joseph sind voreheliche Kinder; sie tragen daher den Familiennamen Hagel. Olga lebt nicht in der Familie in der Albusstraße, sie wohnt bei Marias Verwandten in Süddeutschland. Elias stirbt im Alter von 13 Jahren und wird auf dem neuen Jüdischen Friedhof in Frankfurt beerdigt. Max ist seit seiner Kindheit ein talentierter Fußballer, der in der Schülermannschaft der Eintracht als Verteidiger spielt.

Im August 1928 erscheint Max Girgulski mit seiner Mannschaft sogar auf der Titelseite der „Vereins-Nachrichten“. Zum 3. Mal in Folge wurde die Schülermannschaft der Frankfurter Eintracht Gaumeister. Im Heft wird berichtet: „Abteilungs- und Gaumeister 1926/27/28 wurde unsere spielstarke 1. Schülermannschaft durch ihren am 30. Juni errungenen 3:0-Sieg im Entscheidungsspiel gegen den Meister der Abteilung 2, Frankfurter-Ges. 02 Seckbach, ausgetragen auf dem Platze der Spielvereinigung 03 Fechenheim. (...) Seit dem Jahre 1926 ist uns dank der Geschlossenheit und des kameradschaftlichen Geistes der Mannschaft und Führer eine Kette von Erfolgen beschieden gewesen, so dass uns auch die letztausgetragene Pokalmeisterschaft zufiel. Die in den letzten drei Jahren ausgetragenen 51 Verbands- und Pokalspiele zeigten für uns folgendes Ergebnis: 51 Spiele, 48 Siege, 1 Unentschieden, 2 Niederlagen. Tore: 168:22.“

Bevor Max mit den Kameraden seiner Erfolgstruppe in die B-Jugend aufrückt, reist die ganze Mannschaft für eine Woche ins Verbandsjugendheim Schloss Wilhelmshöhe, um den Sieg zu feiern – und weiter zu trainieren.

Das Trikot von Max Girgulski aus dem Jahr 1937, Quelle: Deutsches FußballmuseumDoch das Leben ist nicht nur Fußball: Nach seinem Schulabschluss beginnt Max eine Ausbildung zum Elektrotechniker bei der Firma Fischer & Müller in Frankfurt. Nach dem erfolgreichen Abschluss arbeitet er zunächst weiter bei der Firma, später dann in anderen Unternehmen.

Wie lange Max bei der Eintracht aktiv ist, ist nicht bekannt. Aber schon kurz nach der Machtübernahme muss er seinen Verein verlassen, was ihn sehr enttäuscht und gekränkt hat, wie seine Tochter Susana berichtet. Fußball spielt Max aber weiterhin. Die aus den bürgerlichen Vereinen gedrängten Sportler sammeln sich fortan in den jüdischen Vereinen, die in Frankfurt bis 1933 eigentlich nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Vor allem die beiden Vereine Bar Kochba und Schild erfahren nach 1933 einen erheblichen Mitgliederzuwachs von Sportlern, die in ihren bisherigen Vereinen nicht mehr erwünscht sind. Dringendstes Problem für die Vereine ist die Sportplatzfrage, denn die Behörden versagen oft die Genehmigung für städtische Spielflächen.

1934 taucht Max Girgulski erstmals beim jüdischen Verein Bar Kochba auf. Im Endspiel um den Pokal des Deutschen Makkabi-Kreises im Frankfurter Stadion spielt Max für die Süddeutsche Mannschaft. „Süddeutschland“ siegt vor vollen Rängen gegen „Berlin“ mit 3:1 nach Verlängerung, Max verletzt sich schon nach wenigen Minuten, kann das erfolgreiche Spiel aber beenden.

1936 wird Max Girgulski mit Bar Kochba Frankfurt Meister der Makkabi-Reichsmeisterschaften. Jüdische Zeitungen berichten über den „Verteidiger Girgulski, der bekanntlich auch im paritätischen Sport bei der Frankfurter Eintracht eine gute Rolle gespielt hat“. Im August 1937 wird er für die Makkabi-Auswahl nominiert, die den deutschen Kreis auf der 3. Makkabiade in Tel Aviv vertreten soll. Das Sportfest wird aber wegen Unruhen im damaligen Palästina abgesagt.

Am 10. Dezember 1937 steht Max Girgulski einmal mehr im Endspiel um die Deutsche Makkabi-Meisterschaft. Das Spiel zwischen Bar Kochba Hakoah Berlin und Bar Kochba Frankfurt wird eine hitzige Angelegenheit. Beim Spielstand von 4:4 wird die Partie abgebrochen, Max Girgulski kriegt die Rote Karte und muss vom Platz gestellt werden. Ob der Spielabbruch „nach Undiszipliniertheit eines Frankfurter Spielers“ in direktem Zusammenhang mit der Roten Karte für Girgulski steht, ist nicht bekannt. Das Endspiel wird am 27. Februar 1938 in Berlin wiederholt. Bar Kochba Frankfurt gewinnt gegen Berlin mit 2:1; Girgulski ist der beste Spieler der Frankfurter Mannschaft. 1937 sind die Girgulskis in die Albusstraße 19 gezogen.

Als im Juli 1938 die letzten Makkabi-Reichsmeisterschaften ausgespielt werden, ist Max Girgulski nicht mehr dabei. Diesmal gewinnt Berlin mit 2:0 gegen Frankfurt, in der „Jüdischen Rundschau“ vom 22. Juli 1938 wird die Niederlage unter anderem mit dem Fehlen von Max Girgulski erklärt: „Die Frankfurter Mannschaft war merklich durch den Verlust ihres wohl besten Spielers Girgulski, der inzwischen ausgewandert ist, geschwächt.“
Während die „Jüdische Rundschau“ die Auswanderung von Girgulski als Schwächung der Frankfurter Mannschaft kommentiert, wird Max in der neuen Heimat euphorisch begrüßt. Nachdem er 1937 seinen Arbeitsplatz bei der Firma Schick wegen seines jüdischen Glaubens verloren hatte, hatte er seine Auswanderung vorangetrieben. 1938 reist er mit dem Schiff nach Buenos Aires: Über die Ankunft des großen Fußballers vom „team del club eintracht, de Franchfurter“ wird in der Presse berichtet.

Mit der Flucht nach Buenos Aires folgte Max seiner Schwester Berta, die bereits 1937 nach Argentinien ausgewandert war. Zunächst arbeitet Max in verschiedenen Aushilfsjobs, später kommt er wieder in seinem erlernten Beruf unter. Er lernt Carmen Echtermeier kennen, die aus Berlin nach Argentinien geflohen ist. Die beiden werden ein Paar und heiraten 1940. Sie leben ihren Glauben als liberale Juden.

Eine neue fußballerische Heimat zu finden fällt schwer. Max schließt sich zunächst den Boca Juniors an, später spielt er auch für River Plate. Den Sprung in die erste Mannschaft schafft er nicht. Außerdem wird er von unwissenden Vereinskameraden immer wieder als der „deutsche Nazi“ beschimpft. Max verliert die Freude am Fußball und beendet seine Karriere. Er bleibt ein Anhänger von Atletico San Lorenzo de Almagro, wobei ihm der Fußball, der in Argentinien gespielt wird, nicht besonders gefällt. Immer wieder schwärmt er vom deutschen Fußball.

1944 werden Max und Carmen Eltern, sie bekommen eine Tochter, die sie Susana nennen. Fünf Jahre später gibt es erneut Nachwuchs, Sohn Ronaldo wird geboren. Während seine Frau Carmen nach Kriegsende mehrere Reisen in die alte Heimat unternimmt, kehrt Max nicht nach Deutschland zurück. Sein Vater Salomon, geboren in Vilnius/ Litauen, wird von den Nationalsozialisten 1938 als polnischer Jude nach Polen ausgewiesen und ermordet. Todesdatum und Todesort sind unbekannt; er wird mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot erklärt. Auch die Mutter von Max, Maria Girgulski, wird zunächst deportiert, kehrt aber nach Frankfurt zurück und muss als Zwangsarbeiterin arbeiten, sie überlebt den Krieg. 1950 zieht Maria zu ihrem Sohn nach Buenos Aires, mit ihr emigriert sein Bruder Josef Hagel und dessen Frau Lilo. Weitere Verwandte folgen. Max organisiert die Auswanderung und kümmert sich um die Bürgschaften.

So entsteht in Buenos Aires eine kleine Frankfurter Familien-Community. In der Familie wird deutsch gesprochen, es gibt eine deutschsprachige Bibliothek und zu Festen werden deutsche Lieder gesungen. Selbst der Urlaub wird in einem deutschen Hotel mit deutschem Essen in den argentinischen Bergen gemacht. Die alte Heimat ist im Hause Girgulski immer Thema, auch von der Eintracht und dem alten Riederwald wird geschwärmt. Und Max ist immer bestens informiert, wie es um die Eintracht steht. Über die Nazi-Gräuel wird fast nie gesprochen. Und wenn Max die alten Geschichten zu viel werden, geht er mit den Kindern raus – und spielt mit ihnen Fußball.

Susana heiratet 1964 ihren Freund Arie Baron, der 1939 als Dreijähriger mit seinen Eltern aus Deutschland nach Chile geflohen ist. Die beiden wohnen in Santiago de Chile. Sie werden Eltern von zwei Söhnen, Gabriel und Daniel. Die Söhne besuchen die jüdische Schule; Gabriel wird Orthopäde, Daniel wird Rechtsanwalt.

Max Girgulski stirbt am 3. Februar 1983 in Buenos Aires. Nach seinem Tod zieht seine Frau Carmen zur Tochter nach Chile. Carmen stirbt am 1. Oktober 1996 in Santiago de Chile. Susanas Bruder Ronaldo stirbt im Jahre 2012 unerwartet im Alter von nur 63 Jahren.

Heute lebt Susana in Santiago de Chile, sie hat mittlerweile vier Enkelkinder. Ihr Mann Arie Baron stirbt 1998. Von 2005 bis 2011 ist Susana Präsidentin der chilenischen WIZO-Sektion. Susana hat die Heimat ihrer Eltern im Jahr 2015 im Rahmen einer Einladung der Stadt Frankfurt besucht; in der Anne-Frank-Schule hat sie Schülerinnen und Schülern über ihre Familiengeschichte berichtet. Zu Jahresbeginn 2016 ist ihr Buch erschienen über das Leben ihrer Mutter Carmen, die zeit ihres Lebens Aufzeichnungen getätigt hat. Auf ihren sportlichen Vater, der bei der Eintracht in Erinnerung geblieben ist, ist sie sehr stolz. In Santiago de Chile hütet Susana einige Schätze: Zahlreiche Fotos zeigen Max im Eintracht-Trikot am Riederwald und im Stadion.

Und ein Trikot ist sogar erhalten geblieben: Das Trikot, mit dem Max mit Bar Kochba Frankfurt-Meister der Makkabi-Reichsmeisterschaften wurde. Das Trikot hat Max ebenso, wie viele Erinnerungen aus Eintracht-Tagen, in die neue Heimat mitgenommen. Susana Baron hat es in einer Feierstunde am 10. November 2019 dem Deutschen Fußballmuseum als Dauerleihgabe überlassen, wo es jetzt als einzigartiges Zeugnis der deutschen Fußballgeschichte zu sehen ist.

Für fünf Familienmitglieder werden am 19. Mai 2016 im Beisein von Susana Baron Stolpersteine vor der letzten Frankfurter Adresse, Albusstr. 24, verlegt: Salomon, Maria und Max Girgulski, Berta Eichberg und Josef Hagel.

Autor: Matthias Thoma, Till Lieberz-Gross

Literaturverweise
M. Thoma: Wir waren die Juddebubbe. Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit. Göttingen 2007; Eintracht Frankfurt Museum (Hg.): 50 Eintrachtler. Jüdische Sportler, Funktionäre und Fans von Eintracht Frankfurt.
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