Fernab des Tagesgeschäfts, das Tuchel 24 Stunden zuvor durch die 1:2-Niederlage seiner Mannschaft in Darmstadt noch arg zugesetzt hatte, spielten die Protagonisten befreit auf und boten den Zuschauerinnen und Zuschauern auf den vollbesetzen Rängen in der Multifunktionsarena des Museums beste Unterhaltung. Es entwickelte sich ein Gespräch über Fußball, wie es das so noch nicht in Deutschland zu hören gab. Spritzig, frisch und oft überraschend. Tempo, Dynamik, Finten und auch mal ein hartes Einsteigen — es gab etliche Strafraumszenen und einige mitreißende Momente.
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Etwa als Tuchel davor warnte, als Trainer den immanenten Spielstil eines Klubs, „seine DNA“, einfach übergehen zu wollen. Was das für Borussia Dortmund bedeute? „Wir können in diesem Stadion mit seinen 80.000 Zuschauern doch nicht verhalten spielen. Diesem Stadion können wir nicht mit 14 1:0-Siegen in Folge gerecht werden.“ Oder als der Vielreiser Gumbrecht berichtete, dass immer, wenn er ein bestimmtes Institut in Belo Horizonte besuche, der brasilianische Taxifahrer partout nicht am Stadion, in dem die Brasilianer bei der WM 2014 1:7 gegen die deutsche Nationalmannschaft verloren hatten, vorbeifahren wolle. Obwohl das auf dem Weg liegt. Er, Gumbrecht, gäbe sich dann als Amerikaner aus.
Philosophen sind Überlebenskünstler. Der Fußball-Lehrer Tuchel bekannte hingegen, dass er selbst sich überhaupt nicht als Lehrer sähe: „Ich empfinde mich eher als Begleiter dieser Talente, Persönlichkeiten und Charaktere.“ Und Dortmunds Cheftrainer verriet dem Publikum auf den vollen Rängen im Fußballmuseum auch noch, dass er überlege, sich künftig bei europäischen Auswärtsspielen eine Nachttour der Stadt zu organisieren: „Schlafen kann ich nach den Spielen ohnehin nicht. Und ich empfinde es fast schon als Ignoranz gegenüber den Gastgebern, wenn sich der Aufenthalt ausschließlich auf das Hotel und das Stadion reduziert.“
Dass Fußball gleichberechtigt mit einer klassischen Symphonie oder einem Roman der Weltliteratur eine ästhetische Erfahrung darstelle, mit dieser These hatte Gumbrecht das Gespräch eröffnet. Und deswegen, so der Komparatist aus Stanford, den Biermann als „umherschweifenden Intellektuellen“ anmoderiert hatte, gehen die Leute auch ins Stadion. Wegen der Ästhetik - und eben nicht wegen des Ergebnisses.
Für einige Besucher überraschend, stimmte der erfolgreiche Trainer aus dem harten Profifußball dem Philosophen aus vollem Herzen zu. Tuchel: „Ich glaube nicht, dass der Zuschauer ausschließlich für das Ergebnis kommt. Ich glaube, er kommt für den gelungenen Spielzug. Wenn man mal überlegt, was das Erlebnis Fußball eigentlich ausmacht, steht das Ergebnis viel zu sehr im Mittelpunkt.“
War die erste Hälfte der Schönheit des Spiels gewidmet, ging es nach der Pause um das Berufsbild und die Rolle des Trainers. In den besten Momenten gelang es der Dreierkette auf der Bühne, den Fußball auf einer übergeordneten Ebene zu betrachten, ohne ihn zu sezieren, sondern das Erlebnis des Spiels greifbarer, verständlicher und damit größer zu machen.
#video:small:16734:SPIELKULTUR: Tuchel und Gumbrecht im Fußballmuseum#
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