Zu Besuch in der Klaus-Fischer-Gedächtnisstation
Festtag im Ersten! Die ARD feiert 50 Jahre Tor des Monats – und das Deutsche Fußballmuseum feiert kräftig mit. Am Donnerstag ist die Original-Medaille, die Gerhard Faltermeier für das erste Tor des Monats am 28. März 1971 verliehen bekommen hat, in Dortmund eingetroffen. Per Kunsttransport ist sie aus den Händen von Witwe Veronika Faltermeier aus Karlsruhe überführt worden. Fortan wird sie am Königswall dauerhaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bereits zum Inventar im Deutschen Fußballmuseum gehört Klaus Fischer. Mr. Fallrückzieher ist der einzige, der in der Dauerausstellung zur deutschen Fußballgeschichte mit einer eigenen interaktiven Station verewigt ist.
Um halb acht steht er auf. Noch immer. Jeden Tag. Klaus Fischer ist 71 – und fit wie ein Turnschuh. Und das, obwohl ihn im Sommer 2020 „ein gegnerischer Torwart weggeputzt hat“. Einen Sehnenriss in der Schulter hat er bei jenem Einlagespiel davon getragen, und eine schmerzhafte Erinnerung – die beim Besuch im Deutschen Fußballmuseum aber sogleich den weitaus angenehmeren weicht.
„Flanke Litti, dann köpft der Horst, der eingewechselt worden war, in die Mitte zu mir – ja, und dann mach ich ihn rein“, reportiert Fischer die Entstehung des „wichtigsten Tores meiner Karriere“. 1982 war das, im WM-Halbfinale gegen Frankreich in der Nacht von Sevilla. Fischers fantastischer Fallrückzieher brachte das 3:3 in der Verlängerung, das Elfmeterschießen, das WM-Finale.
Das schönste all seiner schönen Tore erzielte er aber am 16. November 1977 im Stuttgarter Neckarstadion gegen die Schweiz. „Abi setzt sich Außen gegen Zwei durch, dadurch habe ich in der Mitte einen kurzen Moment Zeit – und treffe den Ball perfekt.“ Sein Fallrückzieher ist ein Kunstschuss – mehr noch, ein Schuss Kunst.
Das Tor wird als „Mutter aller Fallrückzieher“ gefeiert und in der Folge vierfach prämiert; als Tor des Monats, Tor des Jahres, Tor des Jahrzehnts und Tor des Vierteljahrhunderts – was mangels der Ernennung weiterer Tore eines Vierteljahrhunderts gleichbedeutend ist mit dem Tor des Jahrhunderts.
Da liegt Mr. Fallrückzieher nun in der Klaus-Fischer-Gedächtnis-Station; in der Pose, die ihn berühmt gemacht hat, mithilfe derer er noch heute auf der Straße erkannt wird; von den 20-Jährigen, die gar kein Fernsehen mehr gucken, sondern Youtube – und erzählt. Im Wesentlichen von drei wichtigen Zutaten: gute Zulieferer, die von der richtigen Seite zuliefern, und Mut. „Ich hatte nie Angst, nicht vor dem Gegenspieler, nicht vor der Situation, nicht vor der Aktion. Angst ist für mich der größte Gegner“, sagt Klaus Fischer – und fügt hinzu: „Du darfst nicht nachdenken. Wenn du nachdenkst, ist es zu spät. Es muss Intuition sein.
Klaus Fischer wurde mit Intuition zur Institution. Seine Medaillensammlung ist beachtlich. Und sie hat einen Wert. Einen ideellen natürlich und vor allem, aber tatsächlich auch einen materiellen. Jene vier Medaillen für sein Tor des Monats/Jahres/Jahrzehnts/ Vierteljahrhunderts liegen hinter Glas im Fußballmuseum – die anderen im Schließfach auf der Bank. Sechsmal hat Mr. Fallrückzieher das Tor des Monats geschossen, erstmals 1975, dreimal das Tor des Jahres, einmal des Jahrzehnts und einmal des Vierteljahrhunderts.
„Das war etwas Besonderes und macht mich noch heute stolz.“ Für den Fallrückzieher im WM-Halbfinale gegen Frankreich 1982 gingen drei Millionen Stimmen ein; nicht per Klick, sondern per Postkarte, die damals noch an den WDR in Köln geschickt wurden, und dadurch irgendwie noch etwas mehr Verbindlichkeit hatten.
Bis heute verbunden ist Klaus Fischer seinen Zulieferern – Erwin Kremers, Stan Libuda, Rüdiger Abramczik. „Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen“, sagt der 71-Jährige. Es ist auch diese Haltung, seine Demut, die ihn bis heute so beliebt macht. Dann verweist er auf ein Detail: „Alle Flanken, die ich als Fallrückzieher verwertet habe, kamen von der rechten Seite. Es gab nie eine Flanke von links. Weil ich Rechtsfüßer bin, hätte das nicht funktioniert.“ Wie gut, dass Jupp Derweil in der Nacht von Sevilla die Idee hatte, Horst Hrubesch einzuwechseln; und der die Eingebung, Littbarskis Flanke von links noch einmal per Kopf querzulegen.
Seinen letzten Fallrückzieher hat Klaus Fischer vor sieben, acht Jahren gemacht, jedenfalls mit über 60, in einer seiner Fußballschulen. Die Kinder hatten um Anschauungsunterricht gebeten – und Mr. Fallrückzieher hat geliefert. Schließlich hatte schon Ivica Horvat, sein früher Trainer beim FC Schalke, immer wieder gesagt: „Triffst du, ist gut; triffst du nicht, übst du weiter.“ In diesem Fall ist aus Übung ein wahrer Meister geworden; der Meister der Fallrückzieher. „Heute“, sagt Klaus Fischer, „schlafe ich tatsächlich auf dem Rücken“ – allerdings ohne dabei das Bein angewinkelt zu haben